• BABEL – 12. Theaterfest im rumänischen Targoviste – Verbindungen

    Die Eröffnung der 12. Ausgabe des BABEL-Festivals stellt ein jährlich wiederkehrendes, wichtiges Ereignis in der rumänischen Kulturlandschaft dar.

    BildAuch bekannt als Babel FAST wird dieses Festival der darstellenden Künste von Targoviste, Rumänien, ausgerichtet vom ansässigen Tony Bulandra Theater.

    Mit dieser Ausgabe des Festivals setzten die Veranstalter die Tradition fort, kulturelle Vielfalt und den interkulturellen Dialog durch die darstellenden Künste zu fördern. Ein Kreativ-Team unter Leitung des Schauspielers Liviu Cheloiu brachte Künstler und Theatergruppen aus verschiedenen Ländern zusammen und bot ein sehr abwechslungsreiches Programm aus Theater, Tanz, Musik und weiteren Formen der darstellenden Kunst.

    „In Zeiten von alternativen Wahrheiten, Fake News und populistischen Manipulationsversuchen kam die neue Ausgabe mit dem Slogan Verbindungen recht und war schon lange überfällig,“ so Dieter Topp vom KulturForum Europa, Deutschland, in seinem Grußwort zur Eröffnung. „BABEL fördert in der Woche vom 11-16. Juni 2024 echte, ehrliche und wunderbare ‚Verbindungen‘ über das Medium Theater.“

    „Theater und Darstellende Kunst bilden einen Treffpunkt zwischen Welten, die durch Verbindungen mit verschiedenen Ausdrucksmitteln ungeahnt sind, jede mit ihrer Geschichte und ihren Emotionen, jede mit ihren Nuancen und Energien,“ bemerkte Festivalpräsident und Theaterchef Mihai Constantin Ranin ganz richtig.

    In Rumänien „verbanden“ sich Tschechien, Polen, Italien, England, Schottland, Deutschland, Frankreich, Israel, Litauen, Dänemark, Bulgarien, Japan, Finnland, Südkorea, Ukraine, ja sogar China und Bahrain.

    Einige der zahlreichen Veranstaltungen, die vom späten Morgen bis teilweise Mitternacht stattfanden, sollen hier stellvertretend für die große, internationale Schar darstellender Künstler und Künste genannt sein …

    Längste ‚Verbindung‘ besteht zwischen Südkorea, bilinguale Vorstellungen in Rumänien und Südkorea offerierten schon in den vergangenen Jahren gute Eindrücke von unterschiedlichen Auffassungen und Interpretationen, wobei nationale, kulturelle Barrieren auf den jeweiligen Bühnen überwunden werden konnten.

    Aufgrund von Kultur- und Austauschprogrammen, so wie der langen Freundschaft mit südkoreanischen Theatern, wies das Festivalprogramm eine Anzahl von Stücken des asiatischen Landes auf.

    JeungWoo Son, Präsident der koreanischen Theatervereinigung, Regisseur und Professor an der Kyonggi Universität von Seoul, hatte verschiedenste Truppen im „Festival-Koffer“ und gab außerdem noch einen Workshop in Sachen Kontakt – Improvisation. Sein Kollege Jinyoung Youn, Präsident der Daejeon Theater-Vereinigung und Lichtdesigner stand ihm dabei tatkräftig zur Seite.

    Koreanische Vorstellungen

    Ju Jin: „Baesogoji“, A Pond in the Memory, IDA,
    schilderte das tragische Schicksal von Yipbun, die ihres Verstandes beraubt, von den Menschen gemieden und schließlich erschossen wurde. Am Ende baten die Protagonisten gegenseitig um Vergebung, hielten sich aneinander fest und sangen die Lieder, die sie in ihrer Kindheit gemeinsam gesungen haben. Eine Story, die Brecht sehr nahekam.
    (Die IDA Organisation, von Künstlern verschiedener Genres gegründet, die darstellende Kunst schaffen und das Publikum durch eine einzigartige Art von Konvergenzkunst ansprechen, eine Kunstform aus visuellen Elemente und Botschaften, Geschichten, die das Publikum sehen will. Diese neuen koreanischen Ansätze sind nicht an traditionelle Formen und Genres gebunden.)
     
    Korean Theatre Happening der Kyonggi University Seoul
    Jeungwoo Son präsentierte „Chunhyangjeon“, ein Werk der klassischen koreanischen Literatur. Es handelte von der Liebe zwischen zwischen zwei Menschen. Trotz der Sprachbarrieren teilten sie durch Mimik und Gestik die gleichen Gefühle und zeigten die einzigartigen Farben und Stile Koreas, besonders mit Bewegungen des K-Pop und Musicaltanzes.

    „Manleehyang“ von Kim Won der mit vielen Preisen ausgezeichneten Saebyuk Theater Company von 1990.
    Die Geschichte der Toten und der Lebenden, die zusammenarbeiten, um eine neue Form des Menschen für die Zukunft zu erschaffen, bestand aus einer Mischung koreanischer und westlicher Elemente. Vielleicht stellte dies sogar eine neue Form des koreanischen Theaters dar. Wir erlebten den Konflikt und die Liebe zwischen Familien.

    Zwei „Oldies but Goldies“

    Odin Teatret, Dänemark: The Deaf Man’s House
    In den 60 Jahren als Laboratorium gestartet hat sich ein professionelles und wissenschaftliches Milieu entwickelt, das sich durch interdisziplinäre Projekte und internationale Zusammenarbeit auszeichnet. Unter der Regie von Eugenio Barba wurden bisher 81 Aufführungen in 65 Ländern und unterschiedlichen sozialen Kontexten realisiert. Es hat sich eine spezifische Odin-Kultur entwickelt, die auf kultureller Vielfalt und der Praxis des „Tauschhandels“ beruht: Die Odin-Schauspieler stellen sich durch ihre Arbeit einem bestimmten Milieu vor, das im Gegenzug mit Liedern, Musik und Tänzen aus seiner eigenen lokalen Tradition antwortet. Der Tauschhandel ist ein Austausch kultureller Manifestationen und bietet nicht nur einen Einblick in andere Ausdrucksformen, sondern ist auch eine soziale Interaktion, die sich über Vorurteile, sprachliche Schwierigkeiten und Unterschiede im Denken, Urteilen und Verhalten hinwegsetzt.

    „Das Haus des Gehörlosen“ offerierte ein Theater-Capriccio über Goya. Themen aus seiner Biographie und seinen Gemälden wurden durch die Kunst der Schauspieler in einen Fluss von körperlicher Dekadenz und kreativer Vitalität, Prestigegier, Verschwendung von Reichtum, Egoismus, Erfindungsreichtum, Leidenschaft und Frivolität verwandelt. Es war die junge Geliebte Goyas, die ihr Leben mit dem großen Künstler beschrieb. Ihre Bilder, Erinnerungen und Kommentare beschwörten das Geheimnis der Kunst herauf, deren grausame Wahrheit spöttisch über die Toten hinweggeht“ (Eugenio Barba)

    Grotowski Institute und Studio Wachowicz/Fret:
    SHEOL, eine theatralische Séance und ein zeitgenössisches Lamento über die Toten und die Untoten, die Geborenen und die Ungeborenen, ein Abstieg auf den Grund der Stille, auf die dünne Linie von Atem, Stimme und Klang, eine Geschichte über den Wunsch und den Willen, ein Leben zu leben, das voll und lebendig ist wie der Atem des Feuers.

    Der Theatermann Jerzy Grotowski war einer der einflussreichsten Regisseure und Theatertheoretiker des 20. Jahrhunderts, prägend u.a. für Peter Brook und Eugenio Barba. Er plädierte für ein Theaterspiel, das auf Schminke, Kostüme und Bühnenbild, auf Ton- und Lichtapparate verzichtet.
    Wachowicz und Fret arbeiten regelmäßig mit Künstlern zusammen, für die musikalische Sensibilität eine wichtige Rolle bei der Definition des Zwischenmenschlichen und des grundlegend Menschlichen spielt. Das Studio bedient sich häufig eher der tragischen als der dramatischen Tradition und zielt auf das, was die Künstler als intravenöses Hören der Welt beschreiben.

    Willkommen zurück, Gäste erneut bei BABEL

    Der mehrfach preisgekrönte Regisseur Stas Zhyrkov (UA) inszenierte die beeindruckende Aufführung des Alytus Stadttheater aus Litauen: MARIA.
    Eine hervorragende Besetzung erzählte die Geschichte eines der „Wolfskinder“, die nach dem Zweiten Weltkrieg verwaist oder von ihren Familien getrennt wurden.
    Etwa 7.000 junge Kinder, einige allein, andere mit einem Elternteil, flohen vor dem Hunger in den Westen. Litauen, Lettland, Estland, Weißrussland und die Ukraine wurden zu ihren Zufluchtsorten. Da sie unter sowjetischer Herrschaft lebten, konnten diese Kinder ihre Vergangenheit nicht teilen. Erst nach der Unabhängigkeit Litauens konnten sie ihre Identität zurückgewinnen und nach ihren Verwandten suchen.
    Bereits zum zweiten Mal war das Alytus Theater zu Gast bei rumänischen BABEL FAST. Und wieder überzeugte es das Publikum mit den hervorragenden schauspielerischen Fähigkeiten aller Darsteller in den verschiedenen Rollen vom Kleinkind bis zum Großelternteil.
    (Stas Zhyrkov ist einer der bekanntesten Regisseure der Ukraine und inszeniert regelmäßig mit großem Erfolg an Theatern in Deutschland und der Schweiz. Zhyrkov will nicht nur die ukrainische Kultur fördern, sondern auch als Sprachrohr dienen.)

    Donezk Dramatheater, „Mariupol“
    Auch das Regionale Akademische Dramatheater Donezk, ein Theater in Mariupol im Süden der Ukraine, war bereits zu Gast in Targoviste.
    1960 erbaut wurde es am 16. März 2022 durch Luftangriffe des russischen Militärs weitgehend zerstört, wobei einige hundert Menschen ums Leben kamen.

    „Mariupol Drama“: Wir trafen die Schauspieler, die während der Bombardierung im Theater waren, hörten ihre Geschichten aus erster Hand. 60 Minuten lang wurden die intensivsten Episoden zu einer kohärenten Geschichte zusammengefasst, wie sie versuchten, im Schauspielhaus zu überleben: eine Sängerin und eine Schauspielerfamilie mit einem Schuljungen, Matvyi.

    Emily Carding mit Caliban’s Codex von John Knowles 
    Caliban’s Codex lautete der Titel einer neue Solo-Show des in Hastings lebenden Schriftstellers John Knowles, die er zusammen mit der preisgekrönten Schauspielerin Emily Carding (Richard III und Hamlet wurden bereits bei BABEL gefeiert) entwickelt hatte. Dieses Mal ging es um ein intensives und persönliches Postskriptum zu Shakespeares „Der Sturm“, das die Ereignisse des Stücks aus Calibans Perspektive darstellte und sein Leben allein auf der Insel erforschte, nachdem alle anderen diese verlassen haben.

    Mit ihrer selber verfassten „Quintessence“ führte Emily Carding in einem weiteren Stück in der Kombination katastrophaler Ereignisse hin zur Auslöschung der menschlichen Rasse und hinterließ eine KI, programmiert, die Menschheit zu gegebener Zeit neu zu erschaffen, wobei das Gesamtwerk von Shakespeare als Leitfaden für den menschlichen Geist diente. Die Menschheit muss sich weiterentwickeln… aber zu welchem Preis?
    Eine originelle Science-Fiction-Show, inspiriert von Mary Shelleys „Frankenstein“, ließ den Zuschauer fragen, wer das wahre Monster ist.

    ITALIEN: imPerfect Tänzer-Ensemble: HAMLET
    Die Protagonistin, eine psychisch labile junge Frau, identifizierte sich mit ihrer Namensvetterin, der Ophelia von Shakespeare. Beim Lesen von Hamlet versuchte sie zu verstehen, was mit ihr geschehen war. Die Worte nahmen Gestalt an, die Figuren wurden lebendig, und durch die von Shakespeare erzählte Geschichte erlebte Ophelia die dramatischen Ereignisse ihres eigenen Lebens noch einmal.
    Hamlet, ein Drama über Leben und Tod und über die zweideutigen Beziehungen zwischen den Menschen, das dem Publikum eine Reise durch die dunkelsten Gassen der menschlichen Seele bot.

    Das Publikum des BABEL Festivals war auch dieses Jahr von der italienisch-belgischen Tanzgruppe ImPerfect Dancers rasend beeindruckt. Ina Broeckx und Walter Matteini hatten HAMLET mit einer frischen, neuen Truppe von talentierten Tänzern choreografiert. Besonders die männlichen Tänzer konnten ihre Talente zum Ausdruck bringen, alles in allem ein Paket voller Emotionen.

    Emotionen, Emotionen, Emotionen …

    Drama Staatstheater – Ruse, Bulgarien
    The Curious Incident of the Dog in the Night-Time (Supergute Tage oder die sonderbare Welt des Christopher Boone)
    Regisseur Boian Ivanov gelang es erneut mit Geschick und sozialpsychologischem Einfühlungsvermögen, dem Autor gerecht zu werden, kein Stück über Autismus zu inszenieren, sondern „eine würdige Darstellung eines Außenseiters als literarische Figur zu schaffen und Mitgefühl und Verständnis für seine Individualität zu wecken“.
    Ohne mechanisch pathetisch zu sein, weckte er beim Publikum Empathie für den Außenseiter.
    Hauptdarsteller Kaloyan Zhelev erhielt (den „Icarus 2024“-Preis für sein Debüt) und stehende Ovationen !!! …

    Der Kleine Prinz, die Kleine Prinzessin
    Der Kleine Prinz (nach Antoine de Saint-Exupéry, R.: Mihai Constantin Ranin) beim BABEL FAST wurde von einem Kinderdarsteller gespielt, der die Zeichnungen anfertigte, die später auf Video animiert wurden. Codrin Cheloiu spielte an der Seite seines Vaters, Liviu Cheloiu. In dieser Produktion war die von Cheloiu gespielte Figur der Vater selbst, ein Vater, der sich bereit erklärte, das von dem Kind vorgeschlagene Spiel zu spielen und die übrigen Figuren zu verkörpern. Der Vater begleitete seinen Sohn sowohl im Leben als auch auf der Bühne und im Rahmen der Geschichte.

    Der koreanische Kleine Prinz, eigentlich die kleine Prinzessin Jay, war nach ihrem Auftritt auf der Targoviste-Bühne der neue Star. Auf der Pressekonferenz stellte sie sich auf Rumänisch vor und erzählte vom Probenprozess für dieses Projekt.
    Sie wolle in Zukunft ein Musicalstar werden, aber in Targoviste war sie bereits der Star. „Herzlichen Glückwunsch, Jay! Du bist bereits ein Star!“(Jinyoung Youn, Präsident Daejeon Theater-Vereinigung)

    Theater Tony Bulandra, Targoviste
    Richard III. Der Mensch, adaptiert (plus Regie) von ?erban Fleancu nach Richard III, Henry VI, Part II and Part III,
    Liviu Cheloiu führte in seiner Soloshow die Besucher, die rund um den Tisch Platz nehmen mussten, tief in die Seele und Abgründe des Herrschers. „In der Hölle mit Richard III.“, so lautete das allgemeine Urteil zur fesselnden Show, welche die Kraft des Geschichtenerzählens und das transformative Potenzial der darstellenden Künste zelebrierte und der niemand entfliehen konnte.

    Gäste aus Ungarn
    Die Frauen von Troja, Regie: Szabo K. Istvan
    In seiner Adaption, in der emotionale und rationale Dimensionen miteinander kollidierten, wurde ein Bild dessen präsentiert, was niemals hätte geschehen dürfen, aber unvermeidlich war, da die Götter in ihrem egoistischen Spiel ein Risiko eingingen und Troja auf die eine oder andere Weise fallen musste. In der Aufführung, die die gegenwärtige Situation reflektierte, wurde die Zeit erst gelockert und dann völlig aufgelöst. Mit den eindringlichen Klängen und Bildern aus dem großen Schmelztiegel der Geschichte spielte die Schau auf das ewige Feuer, auf die rauchenden Ruinen an.
    „Denn die Helena der Eitelkeit drängt uns zu neuen Zerstörungsfeldzügen, und kein Mensch kann ihrer Versuchung widerstehen. Während in der Stille des Todes nur trojanische Frauen ihre Stimme erheben.“ (Szabo K. Istvan, künstlerischer Leiter des ungarischen Csokonai Nationaltheater Debrecen)

    „Der Geizige“ nach Molière, eine Show kreiert von Festival-Chef Mc Ranin, choreografiert vom leider früh verstorbenen Hugo Wolff.
    Der Geizige ist eines der bekanntesten Stücke Molières mit einer recht komplexen, aber umso spritzigeren Geschichte. Regisseur Mc Ranin hatte sich für einen clownesk burlesken Ansatz mit übertriebenen Konturen für die Handlung und die Beziehungen zwischen den Figuren entschieden.
    Eine Aufführung voller Musik und Bewegung, angelehnt an die Commedia dell’arte, von den Kostümen und dem Make-up bis zum Slapstick, wurde zur Freude aller abgeliefert.
    Dies war Mc Ranins erste Zusammenarbeit mit dem Theater „Ion D. Sirbu“ im rumänischen Petrosani.

    Es gab eine Menge von Theaterangeboten, drinnen und draußen, über den Tag verteilt, weitere Informationen unter babelfest.ro

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