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„Erneute Gesetzgebung nicht zwingend erforderlich“
DGHS-Präsident RA Prof. Robert Roßbruch
zieht Bilanz aus Vorjahr und kündigt politische Aktionen anWenige Wochen vor der Zweiten und Dritten Lesung von Gesetzesentwürfen zur Regulierung der Suizidhilfe im Bundestag, hat RA Prof. Robert Roßbruch, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), auf die Risiken bei der geplanten Gesetzgebung hin-gewiesen. Zurzeit zeichnen sich zwei Varianten ab: Eine Wiedereinführung eines § 217 Strafgesetzbuch, der organisierte Freitodbegleitungen verbietet und nur eng definierte Ausnahmen zulässt, oder eine Regelung außerhalb des Strafrechts, die ein bestimmtes legislatives Verfahren vorgibt.
Bei einer Pressekonferenz betonte Roßbruch seine Bedenken gegenüber einer beabsichtigten Beratungspflicht, die in den bisherigen Gesetzesentwürfen von Helling-Plahr/Sitte et al. und Künast/Keul et al. skizziert werden. Insbesondere gelten die Bedenken der geplanten Beratungsinfrastruktur, die so ohne weiteres nicht allzu schnell in die Realität umzusetzen sein wird. Bei der zurzeit anstehenden Überarbeitung und Zusammenführung der beiden liberaleren Gesetzesentwürfe setzt Roßbruch auf Augenmaß und Praktikabilität als Leitmotive. Als hingegen völlig indiskutabel bezeichnete er den Gesetzesentwurf einer überwiegend konservativ geprägten Abgeordnetengruppe, der eine Wiedereinführung des § 217 StGB vorsieht. „Es gehört schon viel Ignoranz, Beratungsresistenz und ideologische Verblendung dazu, eine als bereits für verfassungswidrig und nichtig erklärte Strafrechtsnorm ein zweites Mal gesetzlich implementieren zu wollen“, stellt Roßbruch kritisch fest. Erneute Verfassungsbeschwerden wären programmiert.
Roßbruch ergänzt: „Die Nachfrage der Menschen nach einem Notausgang ist einfach da, vielen hilft bereits das Wissen, dass sie auf einen solchen Ausweg (in Form einer organisierten Freitodbegleitung) zurückgreifen könnten.“
Im zurückliegenden Jahr 2022 wurden von der DGHS 227 Freitodbegleitungen vermittelt. Dabei verteilen sich die Beweggründe auf das Vorliegen von schweren Erkrankungen, einen starken Leidensdruck aufgrund multipler Erkrankungen oder auf Lebenssattheit von hochaltrigen Menschen. Seit einiger Zeit erreichen die Geschäftsstelle monatlich ca. 50 Anträge auf Vermittlung einer Freitodbegleitung. Mancher Antrag ist unvollständig, mancher weist Ambivalenzen hinsichtlich des Sterbewunsches auf. Oder aber der Gesundheitszustand eines bzw. einer Antragstellenden ist bereits so schlecht, dass die Person im Laufe des Antragsverfahrens verstirbt. Erschreckend findet Roßbruch, dass manche Personen ihr Ableben bewusst im Ter-min vorziehen wollen, weil sie eine restriktive neue Gesetzgebung fürchten. Seitdem das Bundesverfassungsgericht am 26.02.2020 unmissverständlich geurteilt hat, dass es Menschen nicht verunmöglicht werden darf, auch auf organisierte Suizidhilfe zurückzugreifen, hat die DGHS entsprechenden Strukturen aufgebaut. Jeder Antrag wird in der Geschäftsstelle umfassend bearbeitet und unter Einhaltung der von der DGHS entwickelten Sorgfaltskriterien geprüft. Nach erfolgter Bearbeitung werden die Antragsunterlagen an die mit der DGHS kooperieren ärztlichen und juristischen Freitodhelfer weitergeleitet. Derzeit kooperieren deutschlandweit 16 Teams bestehend aus je einem Juristen und je einem Arzt mit der DGHS, um Vereinsmitgliedern einen wohlerwogenen und selbstbestimmten Lebensabschied zu ermöglichen.
„Wir halten eine erneute Gesetzgebung nicht für zwingend erforderlich“, sagt Roßbruch. Dies hat seinerzeit auch das Bundesverfassungsgericht so gesehen, denn es hat den Gesetzgeber nicht dazu verpflichtet, ein wie auch immer geartetes Suizidhilfegesetz zu verabschieden. Für Ärztinnen und Ärzte gibt es schon jetzt in Deutschland einen klaren und eindeutigen rechtlichen Rahmen, wenn sie bei einem wohlerwogenen und selbstbestimmten Suizid eines ihrer Patienten assistieren. Organisationen, die Freitodbegleitungen anbieten oder vermitteln, arbeiten transparent und überprüfbar, da sie nach jeder Freitodbegleitung die örtlich zuständige Kriminalpolizei informieren, die dann ein förmliches Todesermittlungsverfahren einleitet. Nur das geltende Betäubungsmittelrecht müsse, so Roßbruch, angepasst werden, damit suizidwillige Menschen auch ohne Inanspruchnahme einer Organisation die Möglichkeit eines selbstbestimmten Freitodes haben.
In den nächsten Tagen würden, so Roßbruch, Bundestagsabgeordnete deswegen von der DGHS direkt angeschrieben: „Viele, die 2015 ein verfassungswidriges Gesetz beschlossen, haben anscheinend die Absicht, dies 2023 erneut zu tun.“ Mit Zeitungsanzeigen und einer Kampagne in der kommenden Woche werde zudem die Bevölkerung auf die Einschränkungen, die ein erneutes Verbot der organisierten Freitodbegleitung bringen würde, aufmerksam gemacht.
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